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Hier finden Sie eine chronologische Übersicht unserer Artikel zu Autismus, ADHS und Neurodivergenz, die sowohl für Betroffene als auch für Fachleute von Interesse sind.

 

Burnout bei ADHS

Burnout ist ein Zustand tiefer emotionaler, körperlicher und geistiger Erschöpfung.

Menschen mit ADHS haben ein besonders hohes Burnout-Risiko. Ihr Gehirn arbeitet im Dauerhochbetrieb, ihre Gedanken springen von einer Sache zur nächsten, Pausen fallen schwer. Gleichzeitig fällt es oft schwer, Prioritäten zu setzen und Aufgaben realistisch einzuteilen. Das führt zu einer ständigen Überlastung – entweder durch Hyperfokus und stundenlanges Arbeiten ohne Pause oder durch das Gefühl, nie „gut genug“ zu sein, weil man sich mit der eigenen Unstrukturiertheit überfordert fühlt.

Besonders gefährlich ist das ADHS-typische Muster aus Perfektionismus und Selbstzweifeln: Man gibt 200 %, weil man glaubt, mehr leisten zu müssen als andere – und merkt nicht, wie der eigene Akku dabei Stück für Stück leerläuft. Bis nichts mehr geht.

Burnout bei ADHS entsteht durch mehrere Faktoren:

1. Dauerstress durch Reizüberflutung

ADHS-Betroffene nehmen viele Umweltreize gleichzeitig wahr und haben Schwierigkeiten, Unwichtiges auszublenden. Dadurch wird das Gehirn ständig gefordert, was langfristig zu Erschöpfung führt.

2. Perfektionismus und Überforderung

Viele Betroffene setzen sich selbst unter Druck, um mit anderen mitzuhalten. Sie nehmen sich zu viel vor, ignorieren ihre Grenzen und fühlen sich schuldig, wenn sie Aufgaben nicht bewältigen.

3. Motivationsprobleme und Überlastung

Das ADHS-Gehirn funktioniert oft nach dem Prinzip „alles oder nichts“. Lange Phasen der Prokrastination wechseln sich mit intensiven, stressgeladenen Arbeitsschüben ab. Diese ungleichmäßige Belastung führt zu starker Erschöpfung.

4. Emotionale Intensität

ADHS-Betroffene erleben Emotionen oft besonders stark. Freude, Frustration und Stress wechseln sich schnell ab. Dieser emotionale Druck kann über lange Zeit sehr belastend sein.

Symptome von Burnout bei ADHS

Ständige Erschöpfung: Selbst nach ausreichend Schlaf fühlt man sich müde und antriebslos.

Emotionale Leere: Dinge, die früher Freude bereitet haben, fühlen sich bedeutungslos an.

Selbstzweifel und Ineffizienzgefühl: Trotz großer Anstrengungen scheint man nicht genug zu leisten.

Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme: Gedanken schweifen ab, Entscheidungen fallen schwer.

Soziale Rückzugsneigung: Man meidet Kontakte, ist gereizt oder fühlt sich unverstanden.

Körperliche Beschwerden: Kopfschmerzen, Schlafprobleme, Magen-Darm-Beschwerden oder Verspannungen.

Zynismus und Gleichgültigkeit: Ein distanzierter, oft zynischer Blick auf die eigenen Aufgaben oder das Umfeld kann sich entwickeln, begleitet von einer zunehmenden inneren Abkehr.

Reizbarkeit und Stimmungsschwankungen: Plötzliche Wutausbrüche, Ungeduld und starke emotionale Reaktionen auf kleine Auslöser.

Der Weg aus dem Burnout – Aber wie?

Ein Burnout verschwindet nicht von selbst. Er ist das Ergebnis eines langanhaltenden Ungleichgewichts zwischen Belastung und Erholung. Wer wieder auf die Beine kommen will, muss bewusst gegensteuern.

1. Therapie: Professionelle Hilfe als Schlüssel zur Heilung

Burnout ist nicht nur eine Frage von „zu viel Arbeit“. Oft spielen tiefere Themen eine Rolle – Perfektionismus, mangelnde Grenzen, Angst vor Versagen. Therapie kann helfen, diese Muster zu erkennen und zu durchbrechen.

  • Selbstreflexion: Was treibt mich in die Erschöpfung? Welche Denkweisen machen mich anfällig?
  • Bewältigungsstrategien: Lernen, wie man mit Stress umgeht, ohne sich selbst aufzugeben.
  • Grenzen setzen: Nein sagen lernen – ohne Schuldgefühle.

2. Der Körper als Alarmsystem – und wie man ihn ernst nimmt

Burnout ist nicht nur ein psychisches Problem, sondern betrifft auch den Körper. Wer ihn ignoriert, wird irgendwann von ihm gestoppt.

  • Schlaf als Priorität: Nicht nur „ausruhen“, sondern tatsächlich regenerieren.
  • Bewegung: Nicht als Zwang, sondern als Ventil für Stress.
  • Ernährung: Nicht perfekt, aber nährstoffreich genug, um den Körper zu unterstützen.

3. Neue Strukturen schaffen – raus aus der Burnout-Spirale

  • Arbeit neu denken: Muss wirklich alles sofort erledigt werden? Kann ich Aufgaben delegieren?
  • Pausen einplanen: Wer sich keine Pausen erlaubt, wird irgendwann gezwungen, sie zu nehmen.
  • Realistische Erwartungen setzen: Nicht jeden Tag Höchstleistung erwarten.

Der größte Fehler? Zu früh wieder Vollgas geben. Heilung ist kein Sprint, sondern ein Prozess. Wer sich die Zeit nimmt, wirklich hinzuschauen und die eigenen Grenzen zu respektieren, kann gestärkt aus einem Burnout hervorgehen – und verhindern, dass es erneut passiert.

Damit so eine schlimme Situation in deinem Leben nie wieder einen Platz findet.

 

 

Kein Ende in Sicht: Wenn ADHS das Hungergefühl verzerrt

Viele Menschen mit ADHS berichten, dass sie Schwierigkeiten haben, ein natürliches Sättigungsgefühl wahrzunehmen. Dies lässt sich durch verschiedene neurobiologische, verhaltensbezogene und emotionale Faktoren erklären, die eng mit der Funktionsweise des Gehirns bei ADHS verknüpft sind.

Neurobiologische Ursachen: Dopamin und Belohnungssystem

Ein wichtiger Grund ist die veränderte Dopaminregulation im Gehirn. Der Neurotransmitter Dopamin ist unter anderem für die Belohnungsverarbeitung und Impulskontrolle verantwortlich. Menschen mit ADHS haben oft ein niedrigeres Dopamin-Grundniveau, was dazu führt, dass ihr Gehirn verstärkt nach Reizen sucht, die eine schnelle Dopaminausschüttung bewirken. Essen – insbesondere kohlenhydratreiche und stark verarbeitete Lebensmittel – kann eine solche Belohnung darstellen.

Weil das Belohnungssystem bei ADHS häufig eine verzögerte oder abgeschwächte Reaktion auf natürliche Sättigungssignale zeigt, wird das Sättigungsgefühl oft nicht rechtzeitig wahrgenommen. Dies kann dazu führen, dass Betroffene weiter essen, obwohl der Körper bereits ausreichend versorgt ist. Besonders problematisch ist dies bei hochkalorischen, schnell verfügbaren Lebensmitteln, die das Belohnungssystem besonders stark stimulieren.

Gestörte Interozeption: Fehlwahrnehmung von Hunger und Sättigung

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die gestörte Interozeption – also die Fähigkeit, innere Körperzustände wie Hunger und Sättigung bewusst wahrzunehmen. Studien zeigen, dass Menschen mit ADHS häufig Schwierigkeiten haben, diese Signale korrekt zu deuten. Sie bemerken Hunger oft erst spät und neigen dann dazu, sich zu überessen, weil das Sättigungsgefühl verzögert eintritt.

Diese Fehlwahrnehmung kann zu unregelmäßigem Essverhalten führen: Manche Betroffene lassen Mahlzeiten aus, weil sie Hunger nicht rechtzeitig registrieren. Später entwickeln Sie dann leider Heißhungerattacken. Andere essen reflexartig, ohne sich bewusst zu sein, ob sie tatsächlich hungrig sind oder ob eine andere Ursache – etwa Langeweile oder Stress – hinter dem Essverlangen steckt.

Impulsivität und Essverhalten

Die bei ADHS häufig erhöhte Impulsivität beeinflusst ebenfalls das Essverhalten. Viele Betroffene essen schnell und unkontrolliert, oft ohne bewusst darauf zu achten, ob sie bereits satt sind. Da der natürliche Mechanismus zur Regulierung der Nahrungsaufnahme oftmals gestört ist, besteht eine erhöhte Neigung zu emotionalem oder impulsivem Essen.

Besonders problematisch ist dies bei stark verarbeiteten Lebensmitteln, die nicht nur schnell konsumiert werden können, sondern auch eine sofortige Belohnungsreaktion im Gehirn auslösen. Süßigkeiten, Fast Food und kohlenhydratreiche Snacks sind daher besonders verlockend. Dieses Muster kann langfristig zu ungesunden Essgewohnheiten, Gewichtsschwankungen oder sogar einer erhöhten Anfälligkeit für Essstörungen führen.

Emotionsgesteuertes Essen

Viele Menschen mit ADHS nutzen Essen als eine Strategie zur Emotionsregulation. Stress, Überforderung oder Langeweile können dazu führen, dass Essen als Mittel zur kurzfristigen Beruhigung oder Ablenkung eingesetzt wird – unabhängig vom tatsächlichen Hunger.

Dieses sogenannte „emotionsgesteuerte Essen“ kann besonders problematisch sein, wenn es zur Gewohnheit wird. Statt konstruktive Bewältigungsstrategien zu entwickeln, wird Essen als schnelle Lösung genutzt, um unangenehme Emotionen zu regulieren. Dies kann nicht nur das Essverhalten weiter dysregulieren, sondern auch das Risiko für Übergewicht und Stoffwechselprobleme erhöhen.

Unterstützungen zur besseren Regulation des Essverhaltens

  • Achtsames Essen: Langsames, bewusstes Essen kann helfen, Sättigungssignale besser wahrzunehmen.
  • Neurofeedback-Training
  • Feste Essenszeiten: Regelmäßige Mahlzeiten verhindern extreme Hungergefühle und unkontrolliertes Essen.
  • Proteinreiche Ernährung: Eine eiweißreiche Kost kann helfen, den Blutzuckerspiegel stabil zu halten und Heißhungerattacken vorzubeugen.
  • Alternative Bewältigungsstrategien: Entspannungstechniken, Bewegung oder kreative Aktivitäten können helfen, emotionale Essmuster zu durchbrechen.
  • Medikamentöse Unterstützung: In einigen Fällen kann die Behandlung der ADHS-Symptome mit Medikamenten (z. B. Stimulanzien wie Methylphenidat) indirekt auch das Essverhalten positiv beeinflussen, indem sie die Impulskontrolle verbessern.

 

Das fehlende Sättigungsgefühl bei ADHS hat also mehrere Ursachen: Eine veränderte Dopaminregulation führt dazu, dass Essen als Belohnung genutzt wird, während eine gestörte Wahrnehmung von Hungersignalen das bewusste Erkennen von Sättigung erschwert. Impulsivität verstärkt unkontrolliertes Essverhalten, und emotionale Faktoren wie Stress oder Langeweile spielen eine zusätzliche Rolle.

Wer sein Essverhalten gezielt verbessern möchte, sollte sowohl die neurobiologischen als auch die emotionalen und verhaltensbezogenen Aspekte berücksichtigen. Durch bewusstes Essverhalten, feste Strukturen und alternative Strategien zur Emotionsregulation kann langfristig ein gesünderer Umgang mit Essen erreicht werden.

ADHS als Risikofaktor für psychische Erkrankungen

 

Aktuelle Forschung zeigt: ADHS ist nicht nur eine eigenständige neurobiologische Entwicklungsstörung – sondern auch ein kausaler Risikofaktor für weitere psychische Erkrankungen.

Eine im Fachjournal BMJ Mental Health veröffentlichte Studie von Meisinger & Freuer (2023) liefert erstmals genetisch fundierte Hinweise auf direkte Zusammenhänge zwischen einer ADHS-Diagnose und der Entstehung anderer psychischer Störungen. Die Forscher analysierten umfangreiche genetische Datensätze mithilfe der Methode der Mendelian Randomisation, die im Gegensatz zu klassischen Beobachtungsstudien Rückschlüsse auf ursächliche Zusammenhänge zulässt.

Die genetische Anfälligkeit für ADHS (also die „ADHS-Veranlagung“) war signifikant mit erhöhten Risiken für folgende psychische Erkrankungen verbunden:

Nachgewiesene kausale Zusammenhänge:

  • Depression (Major Depression Disorder, MDD)
    → In beiden Richtungen: ADHS erhöht das Depressionsrisiko – und Depression erhöht das ADHS-Risiko
  • Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
    → ADHS wirkt als eigenständiger Risikofaktor, auch unabhängig von komorbider Depression
  • Suizidversuche
    → Erhöhtes Risiko, selbst bei Kontrolle depressiver Symptome
  • Anorexia nervosa (Magersucht)
    → Direkter Zusammenhang mit ADHS, unabhängig von anderen Störungsbildern

Dagegen konnte kein kausaler Zusammenhang nachgewiesen werden zu:

  • Schizophrenie
  • Bipolaren Störungen
  • Generalisierten Angststörungen

 

Klinische Bedeutung: Was heißt das für Betroffene?

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass ADHS deutlich mehr als eine Aufmerksamkeitsstörung ist. Es handelt sich um eine komplexe neurobiologische Konstitution, die weitreichende Auswirkungen auf das psychische Gesundheitssystem einer Person haben kann – insbesondere dann, wenn sie unbehandelt bleibt.

Für die Praxis bedeutet das:

  • Eine frühzeitige und fundierte ADHS-Diagnostik ist entscheidend, um spätere Folgestörungen zu verhindern.
  • Therapeutische Angebote für Menschen mit ADHS sollten mögliche komorbide Entwicklungen wie Depression, PTBS oder Essstörungen mitberücksichtigen.
  • Auch Suizidprävention spielt bei ADHS eine größere Rolle als bisher angenommen – insbesondere bei emotionaler Impulsivität und Maskierungstendenzen.

 

Wissenschaftlicher Hintergrund: Was ist Mendelsche Randomisation?

Die sogenannte Mendelian Randomisation (MR) ist eine genetisch-statistische Methode, die es erlaubt, kausale Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren und Erkrankungen zu identifizieren. Anders als klassische Beobachtungsstudien (die oft durch Umwelteinflüsse und Selbstselektion verzerrt sind), nutzt MR genetische Varianten, die zufällig verteilt vererbt werden – vergleichbar mit einer natürlichen „Randomisierung“.

In der Studie von Meisinger & Freuer wurden diese genetischen Marker mit großen Fall-Kontroll-Datenbanken (z. B. FinnGen, iPSYCH, Psychiatric Genomics Consortium) kombiniert. So konnte gezeigt werden, dass ADHS nicht nur Begleitfaktor, sondern direkter Auslöser für bestimmte Erkrankungen ist.

Diese Studie verändert die Perspektive auf ADHS erheblich: Sie zeigt, dass ADHS als Risikokonstellation für weitere psychische Erkrankungen verstanden werden muss – mit enormer Bedeutung für Prävention, Diagnostik und Therapieplanung. Eine differenzierte Begleitung kann dabei helfen, langfristige Belastungen zu vermeiden und die Lebensqualität von Betroffenen entscheidend zu verbessern.

 

Quelle:

Meisinger, C., & Freuer, D. (2023). Understanding the causal relationships of attention-deficit/hyperactivity disorder with mental disorders and suicide attempt: a network Mendelian randomisation study. BMJ Mental Health, 26, 1–8. https://doi.org/10.1136/bmjment-2022-300642

ADHS im Erwachsenenalter: Diagnostik und Therapie

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