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Hier finden Sie eine chronologische Übersicht unserer Artikel zu Autismus, ADHS und Neurodivergenz, die sowohl für Betroffene als auch für Fachleute von Interesse sind.

ADHS als Risikofaktor für psychische Erkrankungen

 

Aktuelle Forschung zeigt: ADHS ist nicht nur eine eigenständige neurobiologische Entwicklungsstörung – sondern auch ein kausaler Risikofaktor für weitere psychische Erkrankungen.

Eine im Fachjournal BMJ Mental Health veröffentlichte Studie von Meisinger & Freuer (2023) liefert erstmals genetisch fundierte Hinweise auf direkte Zusammenhänge zwischen einer ADHS-Diagnose und der Entstehung anderer psychischer Störungen. Die Forscher analysierten umfangreiche genetische Datensätze mithilfe der Methode der Mendelian Randomisation, die im Gegensatz zu klassischen Beobachtungsstudien Rückschlüsse auf ursächliche Zusammenhänge zulässt.

Die genetische Anfälligkeit für ADHS (also die „ADHS-Veranlagung“) war signifikant mit erhöhten Risiken für folgende psychische Erkrankungen verbunden:

Nachgewiesene kausale Zusammenhänge:

  • Depression (Major Depression Disorder, MDD)
    → In beiden Richtungen: ADHS erhöht das Depressionsrisiko – und Depression erhöht das ADHS-Risiko
  • Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
    → ADHS wirkt als eigenständiger Risikofaktor, auch unabhängig von komorbider Depression
  • Suizidversuche
    → Erhöhtes Risiko, selbst bei Kontrolle depressiver Symptome
  • Anorexia nervosa (Magersucht)
    → Direkter Zusammenhang mit ADHS, unabhängig von anderen Störungsbildern

Dagegen konnte kein kausaler Zusammenhang nachgewiesen werden zu:

  • Schizophrenie
  • Bipolaren Störungen
  • Generalisierten Angststörungen

 

Klinische Bedeutung: Was heißt das für Betroffene?

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass ADHS deutlich mehr als eine Aufmerksamkeitsstörung ist. Es handelt sich um eine komplexe neurobiologische Konstitution, die weitreichende Auswirkungen auf das psychische Gesundheitssystem einer Person haben kann – insbesondere dann, wenn sie unbehandelt bleibt.

Für die Praxis bedeutet das:

  • Eine frühzeitige und fundierte ADHS-Diagnostik ist entscheidend, um spätere Folgestörungen zu verhindern.
  • Therapeutische Angebote für Menschen mit ADHS sollten mögliche komorbide Entwicklungen wie Depression, PTBS oder Essstörungen mitberücksichtigen.
  • Auch Suizidprävention spielt bei ADHS eine größere Rolle als bisher angenommen – insbesondere bei emotionaler Impulsivität und Maskierungstendenzen.

 

Wissenschaftlicher Hintergrund: Was ist Mendelsche Randomisation?

Die sogenannte Mendelian Randomisation (MR) ist eine genetisch-statistische Methode, die es erlaubt, kausale Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren und Erkrankungen zu identifizieren. Anders als klassische Beobachtungsstudien (die oft durch Umwelteinflüsse und Selbstselektion verzerrt sind), nutzt MR genetische Varianten, die zufällig verteilt vererbt werden – vergleichbar mit einer natürlichen „Randomisierung“.

In der Studie von Meisinger & Freuer wurden diese genetischen Marker mit großen Fall-Kontroll-Datenbanken (z. B. FinnGen, iPSYCH, Psychiatric Genomics Consortium) kombiniert. So konnte gezeigt werden, dass ADHS nicht nur Begleitfaktor, sondern direkter Auslöser für bestimmte Erkrankungen ist.

Diese Studie verändert die Perspektive auf ADHS erheblich: Sie zeigt, dass ADHS als Risikokonstellation für weitere psychische Erkrankungen verstanden werden muss – mit enormer Bedeutung für Prävention, Diagnostik und Therapieplanung. Eine differenzierte Begleitung kann dabei helfen, langfristige Belastungen zu vermeiden und die Lebensqualität von Betroffenen entscheidend zu verbessern.

 

Quelle:

Meisinger, C., & Freuer, D. (2023). Understanding the causal relationships of attention-deficit/hyperactivity disorder with mental disorders and suicide attempt: a network Mendelian randomisation study. BMJ Mental Health, 26, 1–8. https://doi.org/10.1136/bmjment-2022-300642

ADHS im Erwachsenenalter: Diagnostik und Therapie

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